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Dirk Steffens

Vermutlich wäre die beste Wissenschaft die, die zu 50 Prozent weiblich und zu 50 Prozent männlich ist. 


Dirk Steffens, Foto: Tobias Schult

Dirk Steffens ist der Typ „perfekter Schwiegersohn“. Und das meine ich gar nicht despektierlich. Aber auch bei meiner Mutter löst er Begeisterungsstürme aus, nicht zuletzt, weil er vor einiger Zeit die Höhle erforscht hat, die sich direkt im Berg unter dem Haus meiner Eltern befindet. „Wahnsinn, Dirk Steffens war hier.“ Und ausgerechnet mit diesem Mann will ich jetzt über Gleichberechtigung sprechen und darüber, dass Frauen die Welt retten werden.


Aber ich habe ihn mir als Interviewgast herbei gesehnt. Auch, weil uns so viel verbindet. Er ist Journalist, Moderator, Dokumentarfilmer und Produzent und in ganz Deutschland bekannt für seine Wissenschafts-, Natur- und Reiseformate. Mit allem, was er tut, setzt Dirk sich ein, die Schönheit dieses Planeten zu zeigen und gleichzeitig klar zu machen, dass es ihm nicht gut geht, dem Planeten und wir ihn dringend besser schützen müssen.


Als wir uns zum Zoom-Meeting treffen, hat er gerade 50 Kilometer mit dem Fahrrad zurück gelegt, weil er ländlich wohnt im Süden von Deutschland. Schon oft haben wir uns bei Veranstaltungen getroffen, wissen um unser Engagement, aber über Gleichberechtigung haben wir noch nie gesprochen.

Ich falle einfach direkt mit der Tür ins Haus.


Janine Steeger:

Dirk, wir haben herausgefunden, dass Frauen in komplexeren Zusammenhängen denken und mit mehr Weitsicht agieren. Kannst Du das bestätigen?


Dirk Steffens:

Ich fange mal mit einer persönlichen Erfahrung an, weil die ja die Weltsicht mehr verändert, als viele schlaue Bücher, die man liest. Ich habe eigentlich immer gedacht: Frauen und Männer sind einfach total gleich. Und dann habe ich mich vor vielen Jahren durch Zufall mit Jane Goodall angefreundet, der berühmten Primaten-Forscherin. Wir haben viel geredet, unter anderem darüber, wie sie dazu kam, als Frau in einer von Männern dominierten Wissenschaft zu arbeiten. Und ich habe mich ein bisschen damit befasst, warum sie eigentlich eine so berühmte Forscherin geworden ist. Denn über viele Jahren schwebte ein böses Klischee über ihrer Arbeit. Ein Fotograf habe sich in die bildhübsche Frau verliebt und sie zur Titelgeschichte von National Geographic gemacht. Es stimmt tatsächlich, dass der Fotograf sich in sie verliebt hat. Berühmt wurde sie aber, weil sie auf eine Art geforscht hat, weltverändernd gewesen. Sie hat auf eine Art geforscht, wie es ein Mann zu dieser Zeit nie hätte tun können.


Damals, wir reden hier von der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, wurde Natur in Schubladen gesteckt. Die einzelnen Tierarten, die einzelnen Pflanzenarten. Wenn man ein Tier erforschen wollte, ist man in den Wald gegangen, hat es erschossen, seziert, genau untersucht und exakt beschrieben. Und dann hat man Kärtchen dran gemacht und hatte fertig geforscht. Das war groß vereinfacht männliche Naturwissenschaft.


Und dann kam diese junge Frau, und ging für längere Zeit in einen Wald - was schon mal ungewöhnlich war. Die Fotos, die es davon gibt, erzählen eine wunderbare Geschichte: Eine blonde, schöne Frau, barfuß im Wald in Schwarzafrika, wie man damals noch sagte und die ging jeden Tag zu den Schimpansen, die das taten, was Schimpansen immer tun: Sie liefen weg. Aber diese Frau war so hartnäckig, sie ist jeden Tag wieder hingegangen. Bis dann eines Tages ein Schimpanse zu ihr kam, sie berührt hat und sie quasi ein Stück weit in die Horde aufgenommen hat. Von diesem Tag an sind die Schimpansen nicht mehr vor ihr weggelaufen. Und genau deshalb konnte Jane Verhaltensbeobachtungen machen, wie es sie zuvor noch nie gegeben hatte.


Janine Steeger:

Es war also wirklich revolutionär, was Sie tat und sie hat die Komplexität von Forschung erkannt …


Dirk Steffens:

Ja, absolut. Sie hat einen Affen berührt, ihm einen Namen gegeben und sagt bis heute, dass sei einer der besten Freunde, die es in ihrem Leben je gegeben hat. Tiere zu mögen, sie als Freunde zu bezeichnen, ihnen Namen zu geben und Sympathie zu formulieren für Vorgänge in der Natur, galten damals als unprofessionell, dafür wäre man aus jeder Uni geflogen. Jane hat alle Regeln der männlichen Naturwissenschaft gebrochen und hat deshalb die Grenzen unseres Wissens verschoben. Sie hat herausgefunden, dass der Mensch nicht das einzige Lebewesen ist, das Freunde hat, das liebt, das hasst, das grausam sein kann. Jane hat herausgefunden, dass Schimpansen Horden bilden und manchmal Kriegen gegeneinander führen, einfach so, weil sie wollen. All das hat unsere Sicht auf die Welt grundlegend verändert. Das hat eine Frau geschafft. Mit einem völlig anderen Blickwinkel. Mit einer völlig anderen Herangehensweise. Und vermutlich wäre die beste Wissenschaft die, die zu 50 Prozent weiblich und zu 50 Prozent männlich ist.


Janine Steeger:

Das ist ein tolles Beispiel und es zeigt natürlich, dass Frauen diese emotionale Herangehensweise haben, Gefühle zulassen, und die Geschichte von Jane zeigt, wie sinnvoll das sein kann. Aber oft wird diese Emotionalität uns immer noch als Schwäche ausgelegt …


Dirk Steffens:

Ist das nicht altmodisch? Macht man das denn wirklich noch? Haben wir nicht längst alle begriffen, dass das eine Stärke ist? Ich habe mit meinem Kollegen Fritz Habekuß ein Buch geschrieben und das ganze Buch ist ein Plädoyer dafür, dass wir, wenn wir Umwelt schützen wollen, wenn wir Natur verstehen wollen, endlich emotionaler da rangehen müssen, weil wir sonst viele Dinge auch einfach nicht begreifen können.


Janine Steeger:

Interessant. In den tiefenpsycholgischen Interviews, die Ines und ihr Team im Rheingold-Salon geführt haben für unsere Studie, sagten die Gesprächsgäste zu Beginn ganz oft: Och Leute, sind wir nicht eigentlich durch mit dem Thema, sind das nicht längst überholte Klischees? Und im Laufe der Gespräche kamen dann ganz viele Beispiele zur Sprache, die gezeigt haben: Das ist Wunschdenken. Wir sind da noch längst nicht, wo wir sein wollen.


Dirk Steffens:

Aber wenn ich mir zum Beispiel die Rechtssprechung anschaue. Geh mal in deutsche Gerichtssäle und zähl mal die Richterinnen und Staatsanwältinnen, dann stellst Du fest, dass das zunehmend mehr sind. Und das war lange Zeit eine männliche Domäne. In Anwaltskanzleien allerdings, wo man extremen Konkurrenzkampf erlebt, wo man sehr viel Geld verdient und sich damit auch brüstet, da arbeiten überwiegend Männer. Und das, obwohl die Examen von Frauen im Durchschnitt besser sind, als die von Männern. Und die Frauen sind hier nicht Opfer des Systems, sondern sie haben eine bewusste Entscheidung getroffen: Ich bin eine sehr gute Juristin, ich habe ein tolles Examen, aber es geht mir nicht darum Millionärin zu werden in einer Wirtschaftskanzlei, sondern ich möchte mein Leben gestalten. Sie priorisieren andere Dinge. Das ist doch eigentlich schön, dass sie das können und tun. Ist das eine Diskriminierung?


Janine Steeger:

Ich kann Dir folgen. Dennoch ist das System, das Du aus den Anwaltskanzleien beschreibst, doch irgendwie bekloppt und veraltet. Erfolg wird definiert durch ständiges Wachstum - ständige Erreichbarkeit und Arbeiten bis zum Umfallen inklusive. Aber ich stimme zu: Es ist eigentlich nur schlau, dass Frauen sich dagegen entscheiden. Trotzdem sind sie dadurch in vielen Branchen weniger vertreten.


Dirk Steffens:

Da stimme ich Dir absolut zu. Aber es ist ja auch nicht so, dass die Welt gleichberechtigter ist, wenn 50 Prozent aller Bagger von Frauen gefahren werden. Ich glaube, wir haben manchmal ein Missverständnis beim Thema Gleichberechtigung.


Aber: Die Ungerechtigkeit, die Benachteiligung von Frauen ist gigantisch und unerklärlich groß. Beispielsweise die ungleiche Bezahlung für gleiche Arbeit aufgrund des Geschlechts.


Janine Steeger:

Wie könnte mehr Chancengerechtigkeit uns in Bezug die den Ressourcenverbrauch helfen?


Dirk Steffens:

Nehmen wir das Problem der Bevölkerungsexplosion. Da kann man global sehr gut beobachten: Überall, wo Frauen aus der Gender-Unterdrückung befreit sind, also, wo sie Zugang zu Bildung haben, Berufe ausüben können, in all diesen Gesellschaften fällt die Geburtenrate fast automatisch auf den Wert um die zwei, also die perfekte Zahl. Weil Frauen, die ausgebildet sind und sich beruflich verwirklichen können, natürlich entsprechend Einfluss auf die Familienplanung nehmen können. In den Gesellschaften, in denen die Männer alles bestimmen, werden stumpf Kinder produziert. Man muss ganz deutlich sagen: Männer sind an der Stelle zu doof da reflektiert ranzugehen. Da sind sie triebgesteuert, so Gorilla mäßig irgendwie. Und die Überbevölkerung ist natürlich ein Kernproblem für den ganzen Ärger mit dem Ressourcenverbrauch und den Klimawandel und das Artensterben und so weiter. Also das zeigt mal ganz praktisch, was Gleichberechtigung alles bewirkt in der realen Welt.


Janine Steeger:

Erlebst Du Frauen als diejenigen, die sich mehr kümmern?


Dirk Steffens:

Also ich bin in dem Selbstverständnis aufgewachsen, dass die Welt von Frauen regiert wird. Wir waren eine fünfköpfige Familie und ich hatte zwei ältere Schwestern und eine Mutter, die die Familie eindeutig geführt haben. Wenn ich von der Schule kam, haben die mich rumkommandiert. Und als ich in der Schule zum ersten Mal von Emanzipation gehört habe und von Gleichberechtigung, da musste ich mir das erst mal kognitiv erschließen, wo das Problem ist, weil sich das in meiner Biographie so ganz anders darstellte.


Janine Steeger:

Das ist super spannend zu hören, dass Du Dir das erste erarbeiten musstest. Aber dieses Kümmernde, wenn wir das mal im Hinblick auf die Klimakrise betrachten, darin liegt doch ein enormer Vorteil, oder wie siehst Du das?


Dirk Steffens:

Das ist natürlich so. Und das hilft ja nicht nur beim Klima- und Artenschutz. Wir haben ja weltweit in der Corona-Krise wieder verstanden, wie viele Frauen in Care-Berufen arbeiten. Das Komische ist nur, dass das in vielen Berichten als Benachteiligung behandelt wurde, da es vorrangig und richtigerweise um die schlechte Bezahlung für diese Arbeit ging. Warum aber wurden die Frauen nicht auch für ihre Fähigkeit des beständigen Kümmerns gefeiert? Das Geschlecht, das sich gerne kümmert, sollte stolz darauf sein. Das ist etwas Großartiges.


Janine Steeger:

Na ja, ich glaube, dass die Wertschätzung für das Kümmern fehlt. Nicht nur verbal, sondern vor allem finanziell.


Dirk Steffens:

Ja, das ist wirklich schräg. Und vermutlich ist das noch ein längerer Prozess. Das ist es ja bei allen Themen, die damit zusammen hängen. In dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, war eine frauenfeindliche Sprache total normal. Ich habe das erst später verstanden. Heute würde man für eine solche Sprache, wenn ich sie beispielsweise als Moderator anwende, innerhalb von einer Sekunde meinen Job verlieren würde. Völlig zu Recht. Da wurden Frauen immer zuerst nach ihrer sexuellen Attraktivität beurteilt. Das ist natürlich vollkommen absurd. Aber es dauert sich von dieser Sprache zu lösen, mit der man aufgewachsen ist. Ich glaube, dass ich sehr sensibel mit Sprache umgehen, aber das war ein längerer Prozess. Und der ist auch noch nicht abgeschlossen. Ich frage mich immer noch, wie ich als Presenter vernünftig gendere. Leider können wir die Welt nicht von jetzt auf gleich zum Guten ändern. Was sehr schade ist. Selbst wohlmeinende Männer, zu denen ich mich zähle, brauchen Zeit. Dass ich noch nicht so weit bin, wie ich gerne wäre im Jahr 2021, diese Erkenntnis tut ja auch weh, weil man nicht so sein will. Ich möchte ja der total gleichberechtigte Typ sein. Und wenn ich dann an Kleinigkeiten feststelle, dass ich noch nicht soweit bin, ist das bitter und macht auch keinen Spaß.


Janine Steeger:

Was könnten Männer denn tun, wenn sie Zeuge von frauenfeindlicher Sprache werden?


Dirk Steffens:

Wir sollten viel häufiger einschreiten. Mir begegnet es inzwischen seltener. Aber es ist immer noch da. Da stehen Männer und Frauen in einer Gruppe zusammen, die Frauen verlassen die Gruppe und die Männer lassen Bemerkungen über deren Aussehen fallen. Müssten wir es nicht zu unserer sozialen Pflicht machen, dann jedes Mal zu sagen: Hey, Du hast kein Recht hier über das Aussehen anderer Menschen öffentlich zu reden. Es sei denn, Du findest es okay, wenn wir es genauso machen, sobald Du die Gruppe verlässt und zum Beispiel sagen: Mit der schiefen Nase sollte er sich lieber eine Mütze übers Gesicht ziehen. An der Stelle sollten wir lauter werden.


Janine Steeger:

Glaubst Du, dass die Klimakonferenzen besser laufen würden, wenn dort mehr Frauen am Start wären?


Dirk Steffens:

Wenn wir uns mal anschauen, wie Frauen bei Verhandlungen agieren - und Angela Merkel ist da ein wunderbares Beispiel. Sie ist nun wirklich keine Visionärin, rhetorisch nicht besonders begabt. Charisma? Na ja, vielleicht im unteren Drittel. Aber bei Konferenzen wäre es doch immer die Trumps, die Orbans, die Kaczynskis, die Johnsons, die schreckliche Auftritte abgeliefert haben. Mit was für Schwachköpfen diese Frau sich rumärgern musste. Und man hatte immer das Gefühl, dass sie Ruhe und Vernunft in diese Konferenzen gebracht hat, während die Männer auf irgendeinem Egotrip waren.


Janine Steeger:

Du kümmerst Dich mit großem Engagement um das Thema Artenschutz und Biodiversität. Wenn Du unsere Gesellschaft mit der Natur vergleichst, was bringt uns die Vielfalt?


Dirk Steffens:

Die Frühmenschen, das waren ja Horden, die sich gegenüber standen. Also eine Horde hier, eine da und die begegnen sich in der Savanne und haben einen Konflikt miteinander. Welche Horde ist leistungsfähiger? Die, die ausschließlich aus Alphamännchen besteht, aus Egoisten? Oder die, die ausschließlich aus Altruisten besteht? Oder ist es die Horde, die eine Mischung ist aus allem. Es hat sich in der Evolution bewahrheitet, dass weder die reinen Egoisten-Gruppen, noch die - nennen wir sie Weicheier - eine Chance hatten. Gesiegt haben immer die gemischten Teams, wo Empathie sich mit Leistungswillen vermischt hat. Einer muss sagen, wo es lang geht. Aber nachher am Lagerfeuer muss auch jemand die Wunden lecken, über Köpfe streicheln und den sozialen Kit wieder herstellen. Das ist auch wichtig. Denn in der Schlacht verteidigst Du niemanden, den Du nicht magst.


Also was sich zeigt: In der Evolution sind Männchen und Weibchen gleich wichtig. Und da sollten wir doch dringend mal aufhören, Frauen als minderwertiger zu betrachten. Sie sind von Männern minderwertiger gemacht worden. Aber das kann man ja rückgängig machen.



 

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